Sonntag, 17. Mai 2009

Magazin-Chef Finn Canonica befragt Tagi-Chef Res Strehle

Finn Canonica, aktueller Chef des Magazins des Tagesanzeigers, befragte am 20. September 2008 seinen ehemaligen Vorgesetzten, Res Strehle, seit 2007 Chefredaktor des Tagesanzeigers, der vergangene Woche jede vierte ihm unterstellte, journalistisch tätige Person - über 50 Leute - auf die Strasse stellte. Canonica stellte ein paar naheliegende Fragen zur Zukunft der abonnierten Tageszeitung. Strehle zum Verhältnis von Gratiszeitung 20minuten zu Tagesanzeiger:
Wenn wir schon kannibalisiert werden, dann kannibalisieren wir uns lieber selber.
Oder, zum Konzept der Tageszeitung im online-Zeitalter:
Wir müssen Newsplus machen. Das heisst Zusatzrecherche, Analyse, Service, zu sagen, was etwas bedeutet, und Unterhaltung. Das sind unsere Wertschöpfungsdimensionen. (...) Man kann's sogar messen: Wieviel Wertschöpfung hab ich auf einer Seite abonnierte Tageszeitung im Vergleich zum Gratisangebot. Wenn ich da wenig habe bis nichts, dann haben wir keine Chance. Wenn ich aber viel Wertschöpfung habe, dann können wir auch sogar noch ein bisschen teurer sein. (...) Wir müssen mehr Volkshochschule sein. (...) Sex and Crime, das ist nicht unser Differenzierungsmerkmal. (...) Das ist vielleicht das oberste Gebot: Dass sich die leute nicht langweilen, wenn sie eine Tageszeitung in die Hand nehmen. (...) Faktisch zahlt der Abonnent ja heute Papierkosten, den Druck und den Vertrieb. Wenn das nicht mehr nötig ist [weil die Zeitung in irgend einer Form (iPhone, kindle oder was immer) ins Netz abgewandert ist], dann - von mir aus - muss er gar nichts mehr bezahlen. (...) Ich hab selten eine Branche [wie die Medienbranche] gesehen, wo tatsächlich die Hysterie ein wichtiges Moment ist, ein Kennzeichen fast für die Branche. Hat vielleicht damit zu tun, dass wir viele kreative Köpfe in der Branche haben. Die sind sehr emotional. Wir wollen diese Leute auch. Die schreiben dann auch packend. (...) Das überregionale Angebot muss von verschiedenen Tageszeitungen gemeinsam gemacht werden, das regionale alleine. Das Newsnetz-Modell, das wir jetzt online praktizieren, wird früher oder später auch im Printbereich zum Tragen kommen. (...) Die Tageszeitung der Zukunft wird ein bisschen dünner werden. Wir können nicht beides haben: massiv höhere Wertschöpfung pro Seite machen mit einem leicht kleineren Redaktionsstab ["leicht kleiner", wenn Du 25% der Leute rausschmeisst?] und dann noch dicker werden. Das find ich aber auch kein Problem, denn die Leute [das Publikum] sind eher überfordert, wenn man ihnen ein Riesenbuch jeden Tag in die Hand drückt. Und denken "Ach, was ich da alles jeden Tag nicht lese, aber dafür bezahle...!" Ich glaube, diese Ueberforderung werden wir nicht mehr betreiben. (...) Die NZZ und der Tagesanzeiger sind aus meiner Sicht zu dick. (...) Die Tageszeitung wird ein bisschen intelligenter werden. Werden müssen! Das heisst: Mehr Analysen, klügere Analysen! Und sie wird bildstärker werden. Sie wird jene Bilder zeigen, wo die Leute tatsächlich hingucken. Wo sie etwas Neues sehen, irritiert werden, emotional aufgerüttelt werden. (...) Mir ist das ganz recht, dass die Jungen mit den Gratiszeitungen und den Onlineportalen jetzt einsteigen. Irgendwann, dann wenn sie die Ausbildung fertig haben, den Job antreten, eine Familie haben, dann werden sie zur bezahlten Tageszeitung greifen.
Ein schrumpfender Haufen nützlicher Hysteriker wird in Zukunft, umrahmt von irritierenden Bildern, unterhalten mit "ein bisschen" intelligenteren Analysen auf immer weniger Papier, wofür mittels intellektuell anspruchslosen Gratisblättern angefixte Familienmenschen bezahlen. Ist es zulässig zu sagen, dass auch Strehle offensichtlich keinen Plan hat?








Audiofile
Sein nervendes "mhm" in die Antwort des Gegenübers rein, hat Canonica sich inzwischen zum Glück abgewöhnt.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Ich denke, die Zeitung der Zukunft wird hauptsächlich Heizdecken verkaufen. Alles andere muss dem zudienen. Eine ein- und einseitige Tageszeitung voll von Inseraten ist vermutlich das wirtschaftliche Modell der Zukunft.