Samstag, 31. Oktober 2009

News in progress: Papierhersteller reagieren auf Artikel in ScienceNews

Nach dem Artikel von Janet Raloff, scheinen bei Produzenten und Grossisten die Alarmglocken geschellt zu haben. Ritemade, ein Händler, publiziert Briefe und Dokumente der Thermopapier-Hersteller und der Ritemade-CEO schreibt im Begleitbrief:
A recent article published in an on-line web magazine has generated interest in BPA (Bisphenol-A) as it relates to thermal paper used for POS receipt tape. BPA or a similar agent, BPS is used by all mills to make thermal paper. BPA is an organic compound that has been used commercially for nearly a century. It is an important building block of several important plastics and plastic additives.
Many years ago someone noticed that there were certain similarities between the chemical structure of BPA and estrogen. Due to this similarity the question was raised as to whether BPA might pose risks similar to estrogen if absorbed through the skin or ingested in some manner. There is no scientific evidence that BPA poses such a risk.
Hersteller und Branchenverband schreiben z.B. (Hier als backup ein Ersatzlink, falls das Dokument unter seiner ursprünglichen Adresse bei ritemade.com plötzlich nicht mehr erreichbar sein sollte - dito für die "Safety Sheets" der Thermopapiere: Original, backup):
Koehler: All studies have proven that the Koehler paper examined is non-hazardous, non-irritant and non-sensitizing.
European Thermo Paper Association (c/o AC-Fiduciaire SA. Tödistrasse 47, P.O. Box 1507, CH-8027 Zürich): All the scientific results so far - on an international, European as well as national level - nevertheless allow for one final conclusion only: BPA has to be classified as harmless with respect to human health as well as the environment.
Eine klare Aussage. Soviel steht fest...

Sonntag, 25. Oktober 2009

Altpapierkreislauf in der Schweiz

ZPK-Daten über Altpapierkreislauf
Weitere Zahlen, gefunden - wie obige Grafik - auf altpapier.ch:
Verbrauch und Sammlung von Altpapier...
Der WWF hat im April 2009 eine Kampagne für mehr Recyclingpapier im Haushalt gefahren, die nützliche Zahlen brachte:
WWF Test
1/5 des Toilettenpapiers besteht also im Schnitt aus Recycling. Nächste Frage: Pro Kopf Verbrauch?
Hygienepapier pro Kopf
21 kg pro Kopf pro Jahr = 57g pro Tag. Wieviel davon ist WC-Papier? Für Europa steht im gleichen Papier des WWF (.pdf):
Wieviel davon ist Toilettenenpapier?
Also rund 60%. 57g * 0,6 = 34g WC-Papier pro Kopf und Tag. Scheint intuitiv eine vernünftige Grössenordnung zu sein. Nächste Frage: Beitrag zu BPA-Fracht im Abwasser?

Berechnungsweise 1: 20% davon ist rein aus recycliertem Material (siehe weiter oben). 34g * 0,2 = 6,85g. Gehring et al. messen in ihren Proben aus Recycling-WC-Papier 45mg/kg DM BPA (also ein Anteil von 45 Millionstel oder 0,000045). 6,85g * 0,000045 = 6850mg * 0,000045 = 0,3 mg BPA / Person pro Tag via Toilettenpapier in die Umwelt entlassen. Aus den Papierfasern werden etwa 30% ausgewaschen. Der Rest landet in irgendwelchen Feststoff-Filtern (Gitter, Sandfilter usw.). Ergo: 0,1 mg BPA/d in den durchschnittlich rund 50L Spülwasser => 0,1mg = 100ug = 100'000ng / 50 = 2000ng/L.

Berechnungsweise 2: Gehring et al. kommen auf einen BPA-Mittelwert von 31 mg/kg (31 Millionstel) für alle Toilettenpapiere. Für die Schweiz hiesse das: 34'000mg * 0,000031 = 1 mg / Person / Tag. Auswaschung = 30% => 0,3mg pro 50 Liter = 300'000ng / 50 = 6'000ng/L.

In der ARA Regensdorf vor der Klärung gemessen (Tab. 14, hier @ issuu): 4'500ng/L.

Kommt das BPA im Input zur Kläranlage vollständig aus dem Toilettenpapier? Für die todo-Liste: Mehrere WC-Papiere ab der Stange auf BPA-Gehalt untersuchen. Einschlägige Spezialpapiere (Tickets, Quittungen usw.) sowieso!

Weiterhin offen: Woher kommt das BPA im Toilettenpapier? Aus recyclierten Spezialpapieren sehr wahrscheinlich. Aber wie ist das festzumachen? Das fiel schon Gehring (Kapitel 5.4) schwer:
In diesen Fällen könnte während der Altpapier- verarbeitung eine Akkumulation von BPA in oder an der Faser stattgefunden haben. Auch ein deutlich höherer BPA-Gehalt im für die Herstellung der untersuchten Toilettenpapierchargen verarbeiteten Altpapier kommt als Grund in Betracht. (...) Wie die Analysen der Altpapierfraktionen zeigen (Kapitel 4.3), ist es im Laufe der Zeit zu einer allgemeinen Verteilung von BPA im Papierkreislauf gekommen. Zellulosen dagegen sind nicht mit BPA belastet (Tabelle 4-7). BPA wird also der Altpapierverarbeitung nicht nur durch Thermopapier, das meist BPA als Komponente der Farbentwicklungsschicht enthält, sondern auch durch das andere Altpapier zugeführt. Aufgrund der Kreislaufführung der Prozeßwässer kommt es vermutlich sowohl im Schlamm als auch im Wasser und in den zuvor nicht oder wenig belasteten Fasern zu einer Aufkonzentrierung von BPA, Untersuchungen darüber liegen nicht vor. Insgesamt lassen die hier untersuchten Proben eine Bilanzierung der BPA-Massenströme im Papierkreislauf und in Schlämmen und Abwasser nicht zu. Zu diesem Zweck müßte eine repräsentative Zahl an Proben aus allen Teilströmen des Papierkreislaufes und aus den Abfall- und Abwasserströmen untersucht werden.

Der Weg von Bisphenol A BPA von Neupapier bis Recyclingprozess


Basierend auf den Zahlen im "Updated European Risk Assessment Report - 4,4’-ISOPROPYLIDENEDIPHENOL (BISPHENOL-A) (2008)" Seiten 18 ff, hab ich mal die eine Seite, den Input in die Umwelt, zum besseren Verständnis veranschaulicht. Apples "Keynote" is your friend... Als nächstes such ich die "end of pipe" Zahlen zusammen, also was in den Oberflächengewässeren, den Abwasserreinigungsanlagen, im Toilettenpapier usw. zu finden ist.

Donnerstag, 22. Oktober 2009

News in progress: Bisphenol A BPA in Spezialpapieren

Meine - wissentlich naive - Frage an Vertreter der Papierindustrie im Zusammenhang mit Recherchen zu dem Thema:
Das Bundesamt für Umwelt BAFU schlägt im Bericht „Mikroverunreinigungen in den Gewässern“ vor, 100 ARAs auszubauen für mindestens 1,2 Milliarden Franken, um die Belastung mit Mikroverunreinigungen zu reduzieren: Wenn Toilettenpapier aus BPA-belastetem Recyclingmaterial als relevante Quelle identifiziert werden kann für BPA in den Gewässern, wäre die Papierindustrie dann bereit, sich an den Ausbaukosten für die ARAs zu beteiligen?
Deren joviale Antwort:
(...) Die Idee, dass sich die Papierindustrie an den Ausbaukosten für ARAs beteiligen soll, ist wahrscheinlich spät abends, nach dem zweiten Bier entstanden (...)
Äh, Nein. Warum? Anderswo heisst das Verursacherprinzip. Die Papierindustrie stellt sich offenbar präventiv schon mal auf den Standpunkt, die Kosten für die Entfernung eines Stoffes, der möglicherweise (da stehen noch Resultate aus) via ihre Produkte ins Abwasser gelangt, soll alleine die Oeffentlichkeit tragen via ARA-Aufrüstung. Auch eine Haltung. Immerhin meinten sie schliesslich:
Wenn sich herausstellen sollte, dass Bisphenol A ein echtes Problem ist, dann sollte man es verbieten. Aber das entscheiden die Toxikologen und der Staat.

Limit - von Frank Schätzing

Moderation:
Frank Schätzing landete vor einigen Jahren einen Bestseller mit seinem Science-Fiction Buch "Der Schwarm". Darin revoltierte, gesteuert aus den Tiefen der Weltmeere von einer bisher unbekannten Lebensform, die Tierwelt gegen die Umweltzerstörung der Menschen. Jetzt ist von Schätzing ein neuer Thriller erscheinen: "Limit" heisst er. Aus den Meerestiefen verlegte Schätzing sein Szenario in den Weltraum und auf den Mond. Von dort holen Transportraumschiffe die Ressourcen, um das Energieproblem auf der Erde zu lösen. Was den Erdölkonzernen aber gar nicht passt...
Beitrag:
Der Sonnenwind lässt im Mondboden ein Element entstehen, das Helium3 heisst. Helium3 ist der ideale Brennstoff für Fusionsreaktoren auf der Erde. Denn wenn Helium3 darin verschmilzt, entsteht so gut wie kein radioaktiver Abfall, aber es werden riesige Energiemengen frei. China und Russland haben tatsächlich verkündet, ihre Langfristperspektive sei es, das Helium3 auf dem Mond darum abzubauen. Insofern liegt Frank Schätzings Szenario gar nicht so weit weg von der Realität. In seinem "Limit" bauen Chinesen und Amerikaner auf dem Mond mit riesigen Robotern das Helium3 ab und schicken es zur Erde.
Wem das gar nicht passt, das sind die Erdölkonzerne, die's einfach nicht mehr braucht und denen die Felle davonschwimmen. Dieser Konflikt ist der Motor in Schätzings Wälzer von 1304 Seiten. Der Motor kommt aber erst mal nicht in die Gänge. Denn dass da etwas faul ist, wird erst nach fast 400 Seiten klar. Bis dahin plätschert das bisschen Handlung recht balanglos vor sich hin. 400 Seiten lang sind wir dabei, wie eine bunte Reisegesellschaft von Milliardären sich so langsam langsam auf den Weg macht zum ersten Luxushotel auf dem Mond.
Es hat sogar einen Schweizer dabei. Der Oegi heisst. Und am liebsten Zürigschnetzeltes isst im einschlägigen Zürcher Nobelrestaurant. Dieses Klischee steht für viele andere, mit denen Schätzing die Leserinnen und Leser geradezu belästigt über viele Seiten. Klischees und ausführliche enzyklopädisch trockene technische Beschreibungen. Fast hätt ich darum den Wälzer beiseite gelegt. Erst, als die Atom-Bombe auf dem Mond zu ticken beginnt, auf Seite 800, wird's dann doch noch spannend. Gelingt das Komplott der Erdölmafia gegen die Helium3-Saubermänner? Wer Schätzings "Der Schwarm" gelesen hat, ahnt bereits, dass auch in "Limit" am Ende doch noch alles gut ausgehen wird...
Technisch und zeitgeschichtlich ist der Autor auf der Höhe der Gegenwart. Sogar die aktuelle Finanzkrise hat's noch geschafft ins Manuskript. Da und dort trifft man auch Bekannte an: Erich von Däniken kommt vor. Oder: David Bowie, als fast 80 Jahre alter Barpianist im Weltraumhotel zum Beispiel. Oder Mies van der Rohe als Inspirator für die Weltraumarchitektur. Und viele weitere. Aber das aufgebotene Personal wirkt etwas gar absichtlich auf die Handlung aufgeschraubt. Man merkt die Absicht und ist leicht verstimmt.
Wer Schätzings Technikfantasien liebt, wird "Limit" trotz der dramaturgischen Durststrecke im ersten Drittel mögen. Wer den Autor nicht kennt, und auf thriller-Spannung aus ist, muss sich das Adrenalin mit Ausdauer verdienen.

War in der Form heute im DRS2aktuell.

Donnerstag, 15. Oktober 2009

Bisphenol A (BPA) im Papier?

Das hormonaktive BPA in Spezialpapieren? Mal schauen, was der Verband der Schweizerischen Zellstoff-, Papier- und Kartonindustrie (ZPK) dazu meint. Mein E-Mail:
Vor kurzem stiess ich auf diesen Artikel. Er weist darauf hin, dass in gewissen Spezialpapieren ("carbonless copy papers") der hormonaktive Stoff Bisphenol A (BPA) verwendet wird. BPA war eine der Chemikalien, die auch das Nationale Forschungsprogramm 50 über „Endokrine Disruptoren“ beschäftigten. Meine Fragen: Wie beurteilen Sie diesen Artikel? Welche Papierarten in der Schweiz fallen in dieselbe Kategorie und werden unter Verwendung von BPA hergestellt? Können Sie abschätzen, in welchen Mengen diese Papiere hierzulande eingesetzt werden?
Die Antwort steht noch aus.

Mittwoch, 14. Oktober 2009

Warum der LHC-Start aus quantentheoretischen Gründen scheitern musste

Kollegin Hanna Wick von der NZZ hat mich hingewiesen auf den NYT-Artikel über die quantentheoretisch begründete Vermutung von Nielsen & Ninomiya anno '07, dass der LHC-Start anno '08 in die Hosen gehen werde, weil in Sachen Higgs-Teilchen vielleicht die Zukunft die Vergangenheit beeinflusse! Oder, wie hier über ein Jahr vor dem Startversuch (we were there) kommentierend zu lesen war:
Therefore - if this hypothesis is true - the LHC is likely to suffer an accident and has to be shut down.
Was ja dann auch passierte... Demnächst übrigens: der 2. Versuch. Verwirrend und spannend to say the least! U.a. beim New Scientist wird schon heftig diskutiert.