Samstag, 2. Januar 2010

Krebsliga Schweiz über hormonaktive UV-Filter: Aktuelle Forschung ausgeblendet?

Die Krebsliga Schweiz schreibt zum Thema Hautkrebs in ihrer Sonnenschutzbroschüre auf Seite 21:
In Laborversuchen haben einzelne chemische UV-Filter eine hormonähnliche Wirkung gezeigt. Diese Filter werden weitgehend nicht mehr verwendet. Negative Auswirkungen dieser Filter auf Mensch und Umwelt konnten bisher nicht nachgewiesen werden.

Lesen wir dazu mal nach beim Nationalen Forschungsprogramm 50 "Hormonaktive Stoffe", Konsensplattform "UV-Filter in Sonnenschutzmitteln", im Schlussdokument (2006):
Laborversuche haben gezeigt, dass bestimmte UV-Filter hormonaktiv in Säugetieren und Fischen wirken. UV-Filter wurden als Rückstände in der Umwelt, in Fischen und in der Muttermilch nachgewiesen.
Steroid- und Thyroidhormone sind an biologischen Effekten und Entwicklungsprozessen beteiligt. Verunreinigungen in der Umwelt können auf diese Systeme einwirken. Bei den polychlorierten Biphenylen (PCB) ist dies beim Menschen nachgewiesen. Bei der Identifikation neuer endokrin aktiver Stoffe wurden grosse Fortschritte gemacht. Zu den neuen Substanzen gehören Chemikalien wie gewisse UV-Filter und gewisse Antioxidantien in Kosmetika und Konservierungsmittel in Nahrungsmitteln. Weitere wissenschaftliche Abklärungen sind notwendig.

Oder, etwas ausführlicher und wissenschaftlicher, im Schlussbericht des NFP50 Teilprojekts "Hormonal activity of UV screens in aquatic ecosystems (HAUS)"
All 19 UV filters were hormonally active in vitro (recombinant yeast), surprisingly most of them possessed multiple activities (10 estrogenic, 14 antiestrogenic, 6 androgenic, 17 antiandrogenic). Estrogenic activities were similar to the human and fish estrogen receptor. To our surprise, most UV filter mixtures were synergistic in vitro, especially when mixed at their no observed effect level. Experiments in juvenile fathead minnows demonstrated the estrogenic activity of four UV filters, thereby partly confirming findings in yeast. Moreover, the estrogenic 3-benzylidene camphor (3BC) and benzophenone-2 (BP2) adversely affected the reproduction in fish. Mixtures of three estrogenic UV filters acted in an additive manner and led to a demasculinisation in male fish at low mixture levels. Our studies reveal a novel and more detailed picture of the hormonal activity of UV filters in vitro and in fish, both as single compounds and as mixtures. The experiments disclose unexpected multiple hormonal activities and synergistic properties of UV filters in vitro. We observed pronounced effects on fish reproduction by 3BC and mixtures of 3 UV filters at low concentrations. Hence, the diverse hormonal activities of UV filters found in our studies are of significant scientific and practical interest.

Siehe dazu auch "UV Filters in the Aquatic Environment Induce Hormonal Effects and Affect Fertility and Reproduction in Fish":
Estrogenic activity has also been demonstrated for some UV filters in fish in vivo. Benzophenone-1 (BP1), benzophenone-2 (BP2), 3-benzylidene camphor (3BC) and ethyl-4-aminobenzoate (Et-PABA) lead to induction of vitellogenin. 3BC and BP2 cause feminization in secondary sex characteristics of male fish, alteration of gonads in male and female fish and decrease in fertility and reproduction. (...) In conclusion, a hazard and risk for aquatic ecosystems cannot be ruled out for the UV filter 3BC, where histological and reproductive effects occurred in fish at low concentrations. However for BP1, BP2 and Et-PABA an environmental risk is rather low based on current knowledge.

Und das BAG meinte im Juni '08 zu "Resultate des NFP 50 - Bedeutung für den Gesundheitsschutz":
Es konnte bestätigt werden, dass die als UV-Filter eingesetzte Substanz 4-Methylbenzylidencampher (4-MBC) im Tierversuch mit Ratten die Entwicklung der Geschlechtsorgane und das Sexualverhalten der Nachkommen beeinflussen. Die Einschätzung der Konsensplattform "UV-Filter in Sonnenschutzmitteln" reflektiert auch die Beurteilung des BAG: „Das Gesundheitsrisiko von 4-MBC ist unklar, es sollte eine Neubewertung erfolgen“. Untersuchungen zeigten, dass 4-MBC in der Muttermilch stillender Frauen nachweisbar ist. Es ist davon auszugehen, dass die Substanz aus Sonnencremen über die Haut in den Körper gelangt. [Das belegte z.B. Soegard 2007: "3-BC permeated skin at higher flux than 4-MBC. Both UV filters are endocrine disrupting compounds with 3-BC being the more potent. UV filters in sunscreen are often present in high concentrations, which potentially may lead to high systemic exposure dosages. Thus, the risk associated with use of 3-BC and 4-MBC containing sunscreen with regards to endocrine disrupting effects was found to be high and more data is urgently needed in order to fully assess the human risk of 3-BC and 4-MBC in commercial sunscreen."] Die in den untersuchten Humanmilchproben gemessenen Konzentrationen sind allerdings so gering, dass beim heutigen Wissensstand eine gesundheitliche Gefährdung des Säuglings unwahrscheinlich erscheint. Die Vorteile des Stillens während der ersten 6 Monate überwiegen bei weitem die Bedenken zu den Risiken von Schadstoffen in der Muttermilch. Das Vorkommen von UV-Filtern in Muttermilch reflektiert die aktuelle (kurzfristige) Anwendung von Sonnenschutzmitteln, und eine Änderung des Konsumverhaltens wirkt sich unmittelbar auf die Belastung aus.
Durch einen massvollen Umgang mit der Sonne während der Schwangerschaft und Stillzeit und einem entsprechend eingeschränkten Einsatz von Sonnenschutzmitteln kann die Belastung des Föten im Mutterleib und des Säuglings über die Muttermilch mit problematischen UV-Filtern minimiert werden. Die Diskussion um 4-MBC hat verschiedene Hersteller von Sonnencremes veranlasst, auf dessen Einsatz zu verzichten. Gegenwärtig laufen verschiedene wissenschaftliche Abklärungen zu 4-MBC. Eine abschliessende Bewertung des zuständigen Expertengremiums der EU (Wissenschaftliches Komitee für Konsumentenschutz, SCCP) ist noch ausstehend. Abhängig vom Ergebnis dieser Risikobeurteilung wird das BAG ein Verbot von 4-MBC prüfen.

Wie schreibt die Krebsliga?
Negative Auswirkungen dieser Filter auf Mensch und Umwelt konnten bisher nicht nachgewiesen werden.

Naja, wenn man die neuere Fachliteratur vielleicht nicht liest, kann man natürlich schon zu diesem Schluss kommen. Und sie behauptet auch
Diese Filter werden weitgehend nicht mehr verwendet.

Die Site codecheck.info kennt immerhin 45 Produkte mit dem UV-Filter 4-MBC drin. Und nicht weniger als 165 Produkte mit dem UV-Filter Benzophenone-2 drin. Und es gibt noch einige hormonaktive UV-Filter mehr. "Weitgehend nicht mehr verwendet" geht anders.

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