Freitag, 27. Februar 2009

Guter Journalismus = wissenschaftliche Forschung

Rainer Stadler stellte unlängst fest, die "alte Medien-Schweiz" sei am Untergehen. Die Diagnose ist vielleicht zutreffend, aber nicht allzu neu. Norbert Neininger-Schwarz, Verleger und Chefredaktor der "Schaffhauser Nachrichten", hieb in dieselbe Kerbe mit seiner Forderung nach einer "vertieften Debatte über Presseförderung". Ihm fallen dabei aber auch keine grundlegend neuen Ansätze ein. Er will:
Verbilligung der Zeitungszustellung (Rückkehr zum ursprünglichen Modell), Abschaffung der Mehrwertsteuer für Medienerzeugnisse, Unterstützung der Nachrichten- und Bildagenturen, Unterstützung der Ausbildungsinstitute, Unterstützung der Leserschaftsforschung, Unterstützung qualitätsfördernder Institutionen, Rabattverzicht bei staatlichen oder öffentlichrechtlichen Kampagnen
Die Politik soll dabei aber nur nicht meinen, sie erkaufe sich für diese Konzessionen irgendwelchen Einfluss:
Das «Wer zahlt, befiehlt»-Prinzip kann nur durchbrochen werden, wenn sich die Verleger und Politiker früh darauf einigen, dass Presseförderung in erster Linie indirekt und ohne staatlichen Einfluss auf die Inhalte (...) erfolgt.
Intermezzo: Bröckeln die Löhne in den Chefetagen der Medienhäuser eigentlich im gleichen Masse, wie im Kohlekeller bei jenen, die ranschaffen, was jenes Publikum herlockt, das die Inserateabteilung dann den Mediaagenturen verkaufen kann? Wer bekommt noch real die Zeit bezahlt, die er oder sie für das journalistische Produkt aufgewendet hat? Telepolis berichtet, dass dies in Deutschland, wie hierzulande, schon lange nicht mehr der Fall ist. Übrigens auch nicht bei der öffentlich-rechtlichen SRG, wo immer seltener die aufgeschriebenen Arbeitstage den tatsächlichen Aufwand wiedergeben. Ende Intermezzo.
Stadler / Neininger und Konsorten sind Gefangene ihres (nur fallweise opportunistisch aufgegebenen) Marktfundamentalismus. Diese Position verunmöglicht die Erkenntnis, dass guter Journalismus näher ist bei der wissenschaftlichen Forschung als beim Werbetexten. Solange der Rubel rollt, wahren die Einwohner der Teppichetagen den Anschein, dass sie die Bild-, Ton- und Textarbeiter für mehr als nur nützliche Idioten halten. Die Zeiten sind vorbei. Wenn die NZZ ihren Inland-Bund am 21.2.09 beginnt mit Stadlers Leitartikel "Der Untergang der alten Medien - Schweiz", dann dürfen wir annehmen, dass unter den Medienmanagern bereits die nackte Panik herrscht. Damit naht der Moment, da jene, die tatsächlich den journalistischen Erkenntniswert schaffen, sich von ihren formaljuristischen Vorgesetzten emanzipieren müssen. Der erreichte technologische Fortschritt macht dies leichter denn je. Die Produktionsmittel sind de facto sozialisiert. Jene, die früher darüber verfügten, geben dies natürlich ungern zu.
Aber wie weiter? Die Redaktionen radikal öffnen, wie Dave Winer vorschlägt? Kann ein Ansatz sein. Die Frage der Finanzierung ist damit noch nicht beantwortet. Die strukturelle Verwandtschaft von wissenschaftlicher Grundlagenforschung und seriösem Recherchierjournalismus wäre dazu genauer zu untersuchen. Und zu belegen. Instinktiv scheint sie mir gegeben, aber das reicht natürlich nicht. In den USA (ja genau da!) existiert ein interessantes Phänomen in dieser Hinsicht. Da hat ein Milliardärsehepaar, Marion und Herb Sandler, über ihre Stiftung eine Organisation ins Leben gerufen namens ProPublica:
ProPublica is an independent, non-profit newsroom that produces investigative journalism in the public interest. Our work focuses exclusively on truly important stories, stories with “moral force.” We do this by producing journalism that shines a light on exploitation of the weak by the strong and on the failures of those with power to vindicate the trust placed in them.
Recherchierjournalismus als Schosshündchen von liberalen Superreichen? Als Zwischenlösung, warum nicht? Andere, entfernt verwandte Ansätze sind natürlich der Recherchierfonds der WoZ oder von onlinereports.ch. Aber vielleicht ist ein grosser Sprung vorwärts notwendig: Wenn schlüssig zu belegen ist, dass journalistische Recherche für die Gesellschaft gleich wichtig ist, wie wissenschaftliche Forschung, kommen für erstere plötzlich auch neue Finanzierungsquellen in den Blick. Ein Schweizerischer Nationalfonds für die journalistische Recherche? Vielleicht. Auf dem Weg dorthin wäre vorerst innerhalb des bestehenden SNF ein NFP oder ein NFS zu lancieren, das dieses Modell testen würde. Derzeit läuft übrigens wieder die Eingabefrist für neue NFS. Dort sind für bis maximal 12 Jahre je 5 Millionen SFr. zu holen. Mit diesem Geld wäre ein Kern von 30 bis 40 Personen zu bezahlen, die analog zur wissenschaftlichen Grundlagenforschung, nichts anderes zu tun hätten, als - frei von ökonomischen Zwängen und Forderungen von Chefredaktionen oder Geschäftsleitungen - gute Geschichten zu recherchieren. Über die Hindernisse und Fallstricke diskutieren wir später...

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Meine Two Cents zum Beitrag: http://hd2cents.blogspot.com/2009/02/zeitungen-als-bannwald-der-demokratie.html