Samstag, 23. Oktober 2010

Die European Thermal Paper Association zu BPA Bisphenol A in Thermopapier

Koehler, einer der wichtigen Thermopapierhersteller in Europa, schreibt auf seiner Website:
Direct thermal papers containing Bisphenol A are safe to use
The European Thermal Paper Association (ETPA) confirms the safety of direct thermal papers.
Und verlinkt zum Dokument der Thermopapier-Industrieorganisation ETPA von Oktober 2010, die in Zürich bei der AC Treuhand AG (swissinfo 11.11.09: "Kartellrecht: EU büsst Ciba und AC Treuhand") beheimatet ist. Darin sagt die Thermopapier-Industrieorganisation, ähnlich wie bereits vor 2 Jahren und im Oktober 2009 erneut, die Thermopapiere seien sicher:
Direct thermal papers containing Bisphenol A are safe to use
The European Thermal Paper Association (ETPA) confirms the safety of direct thermal papers
Als Belege für die Sicherheit des BPA-haltigen Thermopapiers nennt die Thermopapier-Industrieorganisation:
Bisphenol A is used for a range of applications and ranks as one of the best investigated substances in the world. No studies have ever achieved reproducible results indicating negative impact. The Federal Institute for Risk Assessment (BfR) stated clearly in 2008 that there is no risk to human health through handling products which contain Bisphenol A, and has recently reaffirmed this position.
Kommentar: Die ETPA verallgemeinert zu "there is no risk to human health through handling products which contain Bisphenol A", was das BfR spezifisch für die Tierversuchs-Studien von Stump und Ryan sagt: "Aus Sicht des BfR lässt sich aus den beiden neuen Studien kein Verdacht auf ein spezifisches schädigendes Potenzial von Bisphenol A für Verhalten und neurologische Entwicklung ableiten." Zudem: Die beiden Studien machen, anders als die ETPA insinuiert, keine Aussage über das "handling" von "products which contain Bisphenol A", sondern in den Studien wurde den Ratten BPA ins Trinkwasser gegeben. Anfang 2010 erklärte die Medienstelle des BfR auf meine Anfrage:
Das BfR hat sich mit der Bisphenol A Problematik nach Auskunft unseres Experten bisher nur hinsichtlich der oralen Aufnahme über Lebensmittel beschäftigt. Der von mir befragte Kollege sagte daher, dass er nicht beurteilen kann, wie viel von dem auf die Haut übertragenen Bisphenol A in das Blut übergeht und wie hoch die Belastung des Körpers damit ist. Deshalb kann er keine Aussagen aus toxikologischer Sicht machen, weil dazu die Konzentration über einen längeren Zeitraum im Körper abgeschätzt werden müsste, wenn man täglich mit Thermopapier umgeht. Wie vermutet wäre diese Risikoabschätzung aber eine Aufgabe des Arbeitsschutzes. Es liegen im BfR folglich keine Abschätzungen vor, welche Mengen an Bisphenol A in welcher Zeit über die Haut aufgenommen werden könnten und welche Risiken für Menschen daraus erwachsen, die täglich mit derartigen Papieren umgehen.
Und "No studies have ever achieved reproducible results indicating negative impact." ist schlicht falsch. Die ETPA schreibt weiter:
The European Food and Safety Association (EFSA), after intensive study of the scientific evidence, has also reached the same conclusion, which is reflected in the high and thus non-critical threshold value (TDI) that EFSA established for Bisphenol A already in 2006. This position was reaffirmed by EFSA on 30.09.2010 after a new round of intensive research.
Kommentar: Bemerkenswert ist an dem EFSA-Bericht immerhin, dass darin EFSA-Panelmitglied Catherine Leclerq vom "Istituto Nazionale Ricerca Alimenti e Nutrizione" eine abweichende Minderheitsmeinung vertritt. Sie sieht in neuen Studien Grund genug, den aktuellen Grenzwert zu einem "temporären" zu erklären. Die ETPA weiter:
The British Environmental Agency states in the Risk Assessment it issued in February 2010 that there is no risk to human health through handling direct thermal papers which contain Bisphenol A. The report also confirms that there is no risk to the environment, e.g. through the recycling of direct thermal papers.
Kommentar: Anders als die ETPA schreibt, stammt der Inhalt des Reports aus dem Jahr 2008. Im Februar 2010 wurden lediglich seine beiden Teile von 2008 in einem Dokument veröffentlicht. Neue Daten sind seit 2008 keine eingeflossen. Das steht bereits auf dem Deckblatt:
Complete risk assessment in one document (February 2010) - The risk assessment report of Bisphenol-A from 2003 has been merged with the addendum from 2008 to have all information available in one document. Within this document you will find first the Addendum from 2008 for both Environment and Human Health and then the complete RAR from 2003. The Addendum includes the summaries of all the endpoints for exposure and hazard from the 2003 RAR to which new relevant information had been added. Based on this the risk characterisation had been revised.
Und zudem macht der Report keine direkte, fundierte Aussage über das Risiko aus dem Umgang mit Thermopapier. Es steht auf S. 123 unter 4.1.1.2. Consumer Exposure:
Other uses of bisphenol-A, such as in printing inks and thermal paper, are considered to result in negligible potential for consumer exposure in comparison with the other sources considered and therefore will not be addressed further in this assessment.
Das heisst: Weil die Studie a priori davon ausgeht, das Potential für eine Exposition der KonsumentInnen sei vernachlässigbar, geht sie dieser für die ETPA zentralen Frage nicht weiter nach und kann der Organisation darum eigentlich nur sehr bedingt als Kronzeugin dienen. Jüngste Studien (und ganz aktuell auch die INRA Toulouse) zeigen, dass gerade diese a priori Annahme in Frage zu stellen ist. Und in einer Studie mit Schwangeren, die deren Blut (Korrigendum:) Urin auf BPA-Gehalt untersuchte, stellten Joe M. Braun et al. fest, dass Kassiererinnen den höchsten Wert hatten:
By occupation, cashiers had the highest BPA concentrations (GM: 2.8 μg/g).
Die ETPA weiter:
Migration tests conducted at the University of Zurich indicate that, if at all, only miniscule quantities of Bisphenol A can be absorbed through the skin and thus enter the bloodstream. These quantities are negligible when measured against the threshold value established by EFSA.
Kommentar: Anders als die ETPA in ihrem Statement behauptet ("Migration tests conducted at the University of Zurich"), hat das Zentrum für Fremdstoffriskoforschung der Uni Zürich KEINE eigenen "migration tests" durchgeführt (jedenfalls ist dem von der ETPA referenzierten Dokument nichts dergleichen zu entnehmen).
Das Statement des "Centre for Xenobiotic Risk Research", auf das sich die ETPA bezieht, unterzeichnet von Prof. M. Arand, Prof. R. Eggen, Prof. S. Krähenbühl, Prof. H. Kupferschmidt, Prof. HP Nägeli, Prof. A. Odermatt, Prof. H. Segner, Dr. N. von Götz und Dr. Timo Buetler, beginnt im ersten Satz mit der Aussage:
In der Presse wurde vor kurzem darüber berichtet, dass Thermopapier, wie es in Kassabons verwendet wird, bis knapp 2% des Weichmachers Bisphenol A enthalten kann.
Auch wenn unter der Aussage die Namen von 9 Fachpersonen stehen: Bisphenol A ist KEIN Weichmacher. Weiter unten zitiert das Statement der Fachleute des "Centre for Xenobiotic Risk Research" eine französische Aufnahmestudie an Schweinehaut als einziges Indiz. Dabei wären in der Fachliteratur durchaus auch Berichte über die Durchlässigkeit von menschlicher Haut für BPA zu finden, die die Fachleute aber offenbar nicht beizogen.
Schliesslich schreibt die ETPA weiter:
The German Minister of the Environment, Dr. Norbert Röttgen, stated in the Westdeutsche Fernsehen TV programme "Markt" on 7.6.2010 that, "Bisphenol A in sales receipts is harmless, as there is no significant absorption through the skin. It has been known for a long time that Bisphenol A is present in direct thermal papers. Bisphenol A has no actute toxicity."
Kommentar: Die Meinung des Deutschen Umweltministers in Ehren, aber solange nicht dargelegt ist, worauf er sich bezieht, kann sie nicht zur Beweisführung beigezogen werden. (Addendum: Und eine "acute toxicity" hat der Chemikalie im Zusammenhang mit Thermopapier auch nie jemand unterstellt.)
In view of these scientific facts, ETPA considers the use of Bisphenol A for the production of direct thermal papers to be safe and responsible. Direct thermal papers are safe to use and do not pose a risk to human health or to the environment.
October 2010
Kommentar und Fazit: Die "scientific facts", auf die die ETPA bezüglich Bedenkenlosigkeit von Thermopapier referiert, sind, gelinde gesagt, an einem sehr kleinen Ort.


NACHTRAG: Die ETPA hat auf meine Fragen hier geantwortet.

Freitag, 15. Oktober 2010

BPA Bisphenol A im Neuenburger Trinkwasser

Le Matin titelt gestern:

Neuchâtel: des traces de bisphénol-A découvertes dans l'eau potable

Während die Zeitung korrekt von "traces" spricht, lautet der Titel des offiziellen Communiqués des Kantonslabors:

Pas de perturbateurs endocriniens dans l'eau potable du canton

Und dort, im Communiqué der Neuenburger Staatskanzlei steht dann:
Le bisphénol-A a été observé dans 6 ressources en eau, à des concentrations comprises entre 6 et 28 ng/l. Dans quatre cas, le traitement appliqué à l’eau pour la rendre potable avait éliminé le contaminant. Dans un cas, il en avait réduit la concentration des deux tiers. Dans un dernier cas, le traitement avait augmenté la concentration à 40 ng/l, ce qui traduit une légère contamination par l’installation de traitement.

Das heisst: An 6 Orten mass das Labor BPA im Wasser ab der Quelle. Was für Quellen das sind, darüber schweigt das Communiqué sich leider aus. Und heute war dort niemand für eine klärende Antwort zu erreichen. Wie argumentiert das Labor, dass seine Messwerte unbedenklich sind? So:
L’Office fédéral de la santé publique a fixé à 75 ng/l d’eau potable la limite de préoccupation toxicologique pour les contaminants les plus toxiques. Aucune des concentrations mesurées de bisphénol-A n’atteint cette valeur. La campagne menée permet de conclure que l’eau potable distribuée dans le canton ne présente aucun risque du point de vue endocrinien.

Woher kommt die Unbedenklichkeitserklärung für alles unterhalb von 75ng/l? Das BAG schreibt unter "Chemische Stoffe im Trinkwasser:
Um den Vorrang der Stoffe festzulegen, welche toxikologisch ausgewertet werden müssen, hat das BAG das Vorgehen des TTC-Konzepts vom ILSI (International Life Science Institute Europe) anerkannt. Dieses Konzept schlägt einen Höchstwert von (≤75ng/L) für bestimmte Stoffklassen vor. Überschreiten die nachgewiesenen Fremdstoffe diese Konzentration, kann ein gesundheitliches Risiko nicht ausgeschlossen werden. Im Fall einer Überschreitung ist es deshalb empfehlenswert, im Rahmen der Selbstkontrolle ein toxikologisches Gutachten in Auftrag zu geben, um das potenzielle Risiko abschätzen zu können. Unterhalb dieses Wertes ist nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft davon auszugehen, dass praktisch kein Risiko für die Gesundheit besteht.

Das BAG referiert also auf ein "TTC-Konzept" eines "ILSI Europe". Auf dessen "Mission and Values"-Seite lesen wir:
ILSI Europe is funded primarily by its industry members.

Und die gehen von Abbott über BASF und Coca-Cola zu Nestlé, Tetra Pak, Unilver und Yakult Europe.

Fassen wir zusammen: Neuenburg verlässt sich in Sachen Grenzwert für BPA im Trinkwasser auf das BAG. Das BAG seinerseits stützt sich auf das "ILSI Europe", eine grossmehrheitlich industriefinanzierte Organisation in Brüssel. 2006 hat die Weltgesundheitsorganisation WHO das ILSI von der direkten Mitarbeit bei der Festsetzung von globalen Standards für Wasser und Nahrungsmittel ausgeschlossen mit der Begründung, es sei zu einseitig finanziert (Environmental Health Perspectives über den Vorgang). Sourcewatch bezeichnet das ILSI als Lobbyorganisation. ILSI selber verwehrt sich allerdings gegen die Bezeichnung (Replik auf ILSI). Das Expertengremium des ILSI hat einen in seinen Worten "pragmatischen" Grenzwert für irgendwelche Fremdstoffe in Nahrungsmitteln festgelegt:
The Thresholds of Toxicological Concern (TTC) is a pragmatic risk assessment tool that is based on the principle of establishing a human exposure threshold value for all chemicals, below which there is a very low probability of an appreciable risk to human health. The concept that there are levels of exposure that do not cause adverse effects is inherent in setting acceptable daily intakes (ADIs) for chemicals with known toxicological profiles. The TTC principle extends this concept by proposing that a de minimis value can be identified for many chemicals, in the absence of a full toxicity database, based on their chemical structures and the known toxicity of chemicals which share similar structural characteristics. The establishment and application of widely accepted TTC values would benefit consumers, industry and regulators.
An Expert Group of the ILSI Europe Threshold of Toxicological Concern Task Force has examined the TTC principle for its wider applicability in food safety evaluation, and concluded that the TTC principle could be applied for low concentrations in food of chemicals that lack toxicity data. The use of a decision tree to apply the TTC principle was proposed, and this paper describes the step-wise process in detail.

Das vom BAG in der Beziehung als relevant bezeichnete "TTC-Konzept" und seine Herleitung beschreibt das "ILSI" hier ausführlich. Dort gibt's tatsächlich einen Abschnitt über hormonaktive Substanzen. Darin wird wieder auf ein anderes Gremium referiert, das sich 2002 auf der Basis von damals erhältlichen Daten zu BPA geäussert hat:
The SCF in its recent evaluation of bisphenol A (SCF, 2002) concluded that the data on endocrine disrupting effects at very low doses were inconsistent and had not been replicated by subsequent studies. The effects reported at very low doses were not used as the basis for establishing a temporary tolerable intake for this compound. In view of the uncertainties, it seems premature to consider low-dose effects for endocrine disrupting chemicals in the application of a threshold of toxicological concern.

Fazit: Die im neuenburger Trinkwasser gemessenen Mengen von BPA sind klein. Die Unbedenklichkeitserklärung dafür hat keine ganz so wasserdichte Basis, wie die Behörden vermitteln.

Uebrigens: In älteren Untersuchungen (siehe u.a. letzter Abschnitt dieses Postings) hat die Wasserforschungsanstalt EAWAG im Zufluss zu einer Abwasserreinigungsanlage, also in Haushaltsabwässern, BPA gemessen in Konzentrationen von rund 4'500 ng/l.