Sonntag, 2. August 2009

Macht Rauchen Junge rebellisch oder führt Rebellieren Junge zum Rauchen?

So etwa lautet die Frage, auf die auch die jüngste Arbeit aus dem Hause Gutzwiller, Angst & Co keine Antwort liefert... Nachdem sie die 10 bis 30 Jahre alten Daten, die zwischen '79 und '99 bei einigen hundert Zürcherinnen und Zürchern während 6 Interviews erhoben wurden, ausgewertet hatten, kamen 8 Fachleute, darunter Jules Angst und Felix Gutzwiller, zur Erkenntnis, dass wer vor 20 mit Rauchen anfängt, ein stark erhöhtes Risiko hat, schwer depressiv, chronisch depressiv verstimmt oder manisch-depressiv zu werden. Wer früh raucht, hat zudem sehr wahrscheinlich auch rauchende Eltern, ist extrovertiert, hat Probleme mit Disziplin und neigt zur Rebellion in jungen Jahren.
Adolescent onset of smoking was associated strongly with later major depression, dysthymia or bipolar disorders and, furthermore, with parental smoking, extroverted personality and discipline problems and rebelliousness in youth.
Das steht so im Abstract des Artikels "Adult versus adolescent onset of smoking: how are mood disorders and other risk factors involved?" in der jüngsten Ausgabe des Fachblattes "Addiction". Nun ja, die 80er Jahre (Start der Studie) waren ja für die um 1960 geborenen tatsächlich ein trauriges Jahrzehnt, gerade in Zürich, wo die Befragten alle herkommen! Jedenfalls sind die Ergebnisse mit Vorsicht zu geniessen! Und nicht zu verallgemeinern. Denn anderenorts schrieb der Zürcher Psychiater Jules Angst, "Vater" der so genannten "Zürcher Studie", aus deren Datenmaterial auch die rebellischen Raucher herausgequetscht wurden, über die Limitierungen seiner Studie:
LIMITATIONS: The data are based on a relatively small sample; a single age cohort, and the study was conducted in Zurich, Switzerland. These study features may diminish the generalisability of the findings.
Wir müssen allerdings bis zur Seite 27 der Publikation "Bestandesaufnahme und Daten zur psychiatrischen Epidemiologie" des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums "Obsan" gehen, um herauszufinden, wie limitiert die Studie tatsächlich ist. Dort lesen wir, dass schon die ursprüngliche Zusammensetzung der Befragten alles andere als neutral war, sondern mit einem deutlichen Uebergewicht an Personen, die in einem Vortest als gefährdeter erschienen:
Als Motiv für die gewählte Stichprobenschichtung ist natürlich die erhöhte Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von psychischen und somatischen Symptomen und Störungen im Segment der High-Scorer zu nennen.
Und von den 591 schliesslich als Stichprobe gewählten, darunter 2/3 mit von Beginn weg einer "erhöhten Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von psychischen und somatischen Symptomen und Störungen" im Laufe der Zeit, sprang zudem rund die Hälfte ab:
Von den 591 TeilnehmerInnen der ersten umfassenden Befragung 1979 sind über die Befragungen 1981, 1986, 1988, 1993 und 1999 hinweg jeweils durchschnittlich 10 % der Befragten als Drop-Outs ausgeschieden. An der letzten Befragung 1999 beteiligten sich etwas mehr als 60% des Ausgangssamples. 47% der Befragten haben an allen sechs Befragungen teilgenommen.
Gerade noch 277 Zürcherinnen und Zürcher hat die Studie also tatsächlich über die 20 Jahre verfolgt und sind somit auch die hautpsächlichen DatenlieferantInnen für die Raucherstudie. "Repräsentativ" und "aussagekräftig" geht eigentlich anders... Aber wetten, Präventivmediziner werden die Studie hemmungslos einsetzen bei der nächsten passenden oder unpassenden Gelegenheit! Etwa im Sinne von: "Die Wissenschaft hat rausgefunden, dass ein Zusammenhang besteht zwischen Rauchen in der Jugend und depressiv werden später!" Klingt zwar dramatisch, aber stimmt so nicht. Klar: Rauchen ist doof. Niemand küsst gerne einen Aschenbecher! Und man sollte erst gar nicht mit qualmen anfangen. Geschenkt! Schade um's Geld und schade um die Gesundheit. Aber ob solche Studien wirklich die richtigen Argumente gegen die Tabakindustrie liefern, wage ich zu bezweifeln.

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